ad usum proprium 
die literarische Seite von Birgit Gerlach

INHALT / FUNDUS


LESESEITE FÜR KINDER UND HELLE ERWACHSENE - FUNDUS


14.07.2022


Theobald

Es war einmal eine kleine Mieze, die hieß Mauja. Eines Tages ging Mauja hinaus.
Es war ein wunderschöner Sommermorgen, aber niemand war draußen zum Spielen. Also war es auch ein langweiliger Morgen. Mauja durchquerte den Nachbargarten, sprang über eine Mauer, lief über die Wiese in Richtung Vorstadt, dann trottete sie auf der engen, schattigen Schustergasse entlang. Sie war menschen- und katzenleer. Dachte Mauja.

Illustration von Ines Münch aus dem Buch "Mauja"

Plötzlich hörte sie ein leises, klägliches Miauen.
Ihr Blick suchte die Umgebung ab. Endlich! Hinter einer Mülltonne hockte ein völlig verdrecktes Katzentier mit verfilztem und verklebtem Fell. Man konnte nur noch ahnen, dass es früher einmal weiß-braun gestreift gewesen sein könnte.
Mauja blieb stehen und lugte in den Spalt zwischen Mauer und Tonne.
„Was glotzt du denn so blöd, Baby?“, fragte eine kratzige Stimme aus dem Schatten der Tonnen.
„Ich glotze nicht, ich wollte nur nachsehen, wer da so traurig mauzt“, antwortete Mauja, „vielleicht kann ich helfen.“
„Du, und mir helfen? Baby, mir kann niemand helfen. Ich habe Hunger. Ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern, wann ich das Letzte gefressen habe.“ Mit diesen Worten trat ein unansehnlicher, schmuddeliger Kater ins Licht.
Mauja erschrak ein wenig bei seinem Anblick, aber fasste sich gleich wieder.
„Ich bin nicht Baby. Mein Name ist Mauja. Warum besorgst du dir nichts zu fressen, wenn du Hunger hast?“
„So eine dämliche Frage kann nur eine porentief reine Edelkatze aus dem Wohlstandsviertel stellen, die jeden Tag ihren hygienisch einwandfreien Napf, gefüllt mit saftigem Whiskas de Luxe, vor ihr wunderschönes Näschen gestellt bekommt.“
„Dir gefällt also meine Nase“, und Mauja lächelte, obwohl die Antwort wirklich oberunfreundlich gewesen war.
„Im Prinzip ja“, der Schmuddelkater grinste, „du musst nur bei Regen aufpassen, dass dir das Wasser nicht reinläuft, wenn du sie so hochträgst.“
„In diesem Punkt unterscheiden wir uns nicht wesentlich, du Großkotz“, Mauja wurde nun doch wütend, „und wenn du mich weiter so vollmaulst, wird mir auch dein Hunger immer mehr egal.“
„Sorry Baby, äh Mauja, sei doch nicht gleich sauer“, versuchte er einzulenken und schabte seinen Rücken an der Mülltonne, „also los, erzähl mir, wo es Fressen gibt.“ „Verrätst du mir vorher deinen Namen?“, erwiderte Mauja.
„Oh, sorry, Bab… Mauja, ich bin Theobald. Weil ich aber nicht bald, sondern jetzt da bin, kannst du auch Theo zu mir sagen.“
„Hi Theo“, sagte Mauja und leckte sich flüchtig über die linke Schulter.
„Also, Ba... äh Mauja, was ist nun mit Fressen?“
„Na, komm mit“, und Mauja lief los.

Theo rannte hinterher. Sie liefen aus der Gasse hinaus, kletterten über eine Mauer, durchquerten drei Gärten, sprangen über drei Zäune und liefen über die große Wiese in Richtung Froschteich. Als sie am Teich angekommen waren, fragte Theo ungehalten: „Soll ich mir hier einen Frosch fangen?“
„Kannst du, wenn du willst, aber meine Idee war eine andere. Kannst du schwimmen?“
„Logisch Baby, aber eigentlich wolltest du mir was zwischen die Zähne besorgen und kein Bad“, meckerte Theo.

Bild von Felix, 9 Jahre, entstanden im Anschluss an eine Lesung über das Buch "Mauja"

„Gut, da kann dir also nichts passieren“, folgerte Mauja und gab dem Kater einen Schubs, sodass er bäuchlings ins Wasser platschte.
Prustend und schimpfend tauchte er wieder auf und Mauja kugelte sich vor Lachen auf der Wiese.
„Dämliche Ziege!“, schimpfte er und schwamm eine Runde durch den Teich. „Ist aber cool hier drin“, rief er, tauchte noch einmal unter und kam dann triefend an das Ufer gewatet.
Mauja lief ihm entgegen und begann, sein Fell trocken zu lecken. Theo schnurrte: „Also, wenn ich nicht solchen Hunger hätte, würde ich mir einbilden, ich wäre im siebenten Himmel.“
„Ohne Bad gibt es nichts zu essen“, erklärte Mauja und leckte noch zwei kräftige Striche über Theos Rücken. „So, den letzten Rest trocknet die Sonne“, beschloss sie und betrachtete ihr Werk. „Schade“, sagte Theo, leckte sich selbst noch ein paar Mal über das Lätzchen und sah mit Genugtuung an sich herab.

„Du siehst jetzt richtig schnuckelig aus“, bestätigte Mauja seine Selbstbetrachtungen. „Wir können zum Mahl schreiten. Komm!“ Wieder lief Mauja vornweg und Kater Theo hinterher. Es ging abermals über die große Wiese, über drei Zäune, durch drei Gärten, aber dann in Richtung Kiosk.
„Was sollen wir denn hier? Einbrechen?“, wollte Theo ungeduldig wissen.
„Quatsch“, sagte Mauja, „wir lassen uns bedienen.“
Theo hatte Bedenken: „Wenn ich die Menschen anbettle, scheuchen sie mich weg, als ob ich die Pest hätte. Da hilft nur ein Knack.“
„Theo, vergiss nicht, du kommst heute aus dem Kosmetikstudio. Außerdem musst du den Menschen ein bisschen Zeit lassen, dich nett zu finden.“
„Na Klasse, in der Zwischenzeit bin ich den Hungertod gestorben“, nörgelte Theo.
Mauja wurde ärgerlich. „Den Hungertod hättest du ganz locker und ohne jede Mühe hinter der Mülltonne haben können!“

Illustration von Ines Münch aus dem Buch "Mauja"

„Sorry  Bab... Mauja, ist schon okay.“
Mauja schnaufte, dann sagte sie betont ruhig: „Setz dich bitte dort drüben hin und rühr dich nicht von der Stelle, bis ich es dir sage.“
„Geht klar B... Mauja.“
Mauja atmete nochmals hörbar tief durch und setzte sich neben den Kiosk.
Eine Frau in hochhackigen Schuhen kaufte sich gerade eine Bratwurst. Es war eine besonders lange Wurst, sie hing an beiden Seiten weit aus dem Brötchen heraus. Beim Essen beugte sich die Frau nach vorn, um sich ihre gelbe Bluse nicht zu bekleckern. Da erblickte sie es, das niedliche Miezchen, das seine hungrigen Augen an ihre Bratwurst heftete. „Ach du kleines Kätzchen, du hast wohl Hunger?“, fragte sie in einer Stimmlage, in der gewöhnlich die Menschen mit kleinen Kindern sprechen.
Mauja antwortete mit einem kläglichen: „Mau-au-au.“
Das zog. Die Frau biss ihre Wurst abermals an, riss das angebissene Stück ab und warf es Mauja hin. Da konnte sich Theobald nicht mehr zurückhalten, er stürzte aus dem Gebüsch hervor, schnappte sich das Stück Wurst und schlang es auf einen Bissen herunter.
„He, du widerliches Katzenvieh, das war für das kleine Miezchen!“, rief die Frau erbost, und zu Mauja gewandt sagte sie: „Tut mir leid Kleine“, drehte sich um, stopfte sich die restliche Wurst in den Mund und ging zu ihrem Auto.
„Du Blödmann“, fuhr Mauja Theo an, „das wäre dein Preis gewesen.“
„Na prima, dass du dir den Bauch mit Bratwurst vollschlägst und ich zugucke“, schimpfte der Kater.
„Nein. Aber nicht wie wild draufstürzen. Wenn du nett ‚miau‘ machst, finden dich die Menschen süß und geben dir mehr ab, als du dir jemals selbst holen könntest“, versuchte ihm Mauja zu erklären.
„Süß! Ich und süß! Das ist doch peinlich!“, plusterte er sich auf.
„Gut, dann verhungere doch lieber als heldenhafter Ritter!“
In diesem Moment war ein Mann mit Schlips und Anzug zum Kiosk gegangen, und sie mussten ihren Streit unterbrechen.

Schon stellte er sich kauend und mit einer Riesenbratwurst in der Hand an einen der hohen Tische.
Mauja flüsterte: „Los!“, und schubste Theo leicht in die Seite. Der guckte erst etwas verdattert, setzte sich dann aber ganz artig vor den freien Tisch neben dem Esser und brachte ein super-liebes „Mau-au“ über die Lippen.
„Hallo Kumpel“, sagte der Mann, „ist wohl nichts los mit Mäusen heute? Ja, ja, das Leben ist hart zuweilen. Aber wir Männer müssen zusammenhalten. Du bist doch einer?“
Und nachdem Kater Theobald ein zustimmendes „Miau“ von sich gegeben hatte, teilte er seine Wurst mit ihm.
So verbrachten die beiden Katzen den ganzen Nachmittag am Kiosk und Theo fand Gefallen an dieser Art der Nahrungssuche. Zum Schluss war er so satt, dass ihm ein Bäuerchen entschlüpfte: „Hicks. Oh, pardon.“
Als es Abend wurde, verabschiedeten sich Mauja und Theo. Mauja sah dem davon schlendernden Kater noch eine Weile nach. Sein Fell glänzte golden in der Abendsonne.
Als Mauja endlich in ihrem Körbchen lag, dachte sie noch einmal an den gebadeten Theo und musste leise kichern. So schlief sie ein und träumte einen wunderschönen Traum.



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