ad usum proprium 
die literarische Seite von Birgit Gerlach

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LESESEITE FÜR KINDER UND HELLE ERWACHSENE - FUNDUS



20.11.2021

Fliegen


Es war einmal eine kleine Mieze, die hieß Mauja. Eines stürmischen Herbsttages ging Mauja hinaus. Der Wind war so kräftig, dass die kleine Katze nicht geradeaus laufen konnte, weil sie immer wieder nach rechts gegen Frau Dankwarts Gartenzaun gedrückt wurde: Boing, boing, prallte sie dagegen.
Da kam ihr Kater Schnurr entgegen, auch er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Er klammerte sich an einer großen Plastetüte fest. Wenn der Wind in die Tüte fuhr, hob der kleine Kater ein Stück vom Boden ab. Das sah sehr lustig aus.
„Was machst denn du mit der Riesentüte?“, brüllte ihm Mauja entgegen. Aber das Heulen des Windes verschluckte ihre Stimme. Erst als sie beieinander standen, konnten sie sich verstehen.
„Tüte?“, erwiderte Schnurr, „das ist mein Fallschirm!“
„Du fällst doch gar nicht.“
„Aber ich kann damit fliegen. Dann ist es eben mein Segel.“
„So, so“, sagte Mauja, „du bist also ein Boot.“
„Ein Flugboot sozusagen. Das macht Spaß! Musst du unbedingt probieren!“
„Ehrlich?“, fragte Mauja ein wenig ängstlich. Dann aber siegte die Neugier. „Warte einen Moment, ich suche mir auch ein Segel.“ Sie verschwand im Haus, um nach einer Weile mit einem großen rot karierten Geschirrtuch aufzukreuzen.
„Guck mal!“, sie fasste es an allen vier Zipfeln und schon hatte sie der Wind gepackt und trug sie ein Stück davon.
Kreischend vor Freude ließen sich die beiden über die Wiese treiben, und sie flogen immer weiter und immer höher.
Von oben sahen sie auf Frau Dankwarts Garten, auf die große Wiese und den Froschteich. Und es ging immer höher und weiter.
„Wie funktioniert denn hier das Bremsen?“, schrie Mauja Kater Schnurr zu.
„Keine Ahnung!“
Unter ihnen rauschte die dicke Weide vorbei und die Pferdekoppel. Sie wurden geradezu in Richtung Auenwald getrieben, dahinter war der große Fluss.
„Wir müssen springen!“, rief der Kater, „sonst fliegen wir zu weit weg.“
„Auweia, ich habe Angst!“
„Los Mauja, uns bleibt nichts weiter übrig. Auf drei springen wir! Eins, zwei, drei!“
Beide ließen ihre Fallschirme los und zwei schreiende Katzen purzelten vom Himmel: „Ahhh…!“
Die Notlandung glückte und die Flieger landeten tatsächlich auf ihren Pfoten. Nur Mauja schürfte sich ein wenig Haut vom Rosa ihrer Pfotenballen ab. Sich gegen den Sturm stemmend traten sie den weiten Rückweg an, vorbei an der Pferdekoppel, dem Froschteich, über die große Wiese. Mauja hinkte etwas und jammerte, weil es beim Laufen an der Hinterpfote zwirbelte.
Als sie endlich zu Hause angekommen waren, begann es schon dunkel zu werden.
Mauja setzte sich vor die Tür und mauzte so laut sie konnte. Das Mädchen öffnete. „Mauja, wo kommst du denn her? Ich habe mir schon Sorgen gemacht, weil es heute so stürmisch ist.“ Sie nahm die Katze mit in das Haus, striegelte ihr das zerzauste Fell, kraulte sie und gab ihr Futter. Mauja hatte einen Riesenhunger. Und als sie satt war, spürte sie, dass sie sehr, sehr müde war, kuschelte sich in ihr Körbchen und träumte vom Fliegen.



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