EINE GESCHICHTE - EIN MOMENT - FUNDUS
25.04.2023
Osterausflug
Am Bodensee bin ich eine Fremde. Oder entstamme ich einer Parallelwelt? Alles ist glatt hier, glänzt makellos. Freundlichkeit ist in Stein gelächelte Belehrung.
Der Regen färbt den Glanz grau. Eine junge, offensichtlich gehbehinderte Frau, die ein wenig wie eine Nonne im Film aussieht, schön, leidend und verzückt, betritt den Vorraum einer öffentlichen Toilette. Ihre Krücken wirft sie in die Ecke, umarmt die Heizung und spricht mit jemandem, den nur sie sieht. Dann verschwindet sie mitsamt ihren in Beutel gestopften Habseligkeiten in einer Kabine.
Hagel hat kleine Eisinseln auf den Gehwegen hinterlassen. Schwapp, fliegt der Inhalt eines Wassereimers auf die Straße. Wischwasser vom Bioladen.
Meine Unterkunft befindet sich unweit des Sees. Die Ein- und Zweifamilienhäuser dieser Gegend stammen aus den Sechzigerjahren, wenige Jugendstilvillen haben sich über die Zeit gerettet. Die Fachwerkbauten in Ufernähe sind irgendwann bis zur Unkenntlichkeit saniert worden. Alles wirkt seelenlos, geordnet und kontrolliert. Nach dem Blick in den Schaukasten eines Maklers weiß ich, für Millionen. Ein Riesenanwesen mit auf Barock getrimmtem Garten, ich habe durch die Ritzen gespäht, liegt verbarrikadiert hinter übermannshohen, grau gepinselten Metallplatten. Ich vermisse Stacheldraht.
Hier verbietet sich jede Leichtigkeit. Nur dem Tüchtigen gehört die Welt und ohne Fleiß kein Preis. Beim Kauen eines zweckmäßigen Frühstücks mit Blick aus dem Fenster der Kelleretage, die hier Souterrain heißt, sollte man keine Zeit mit Belanglosigkeiten verbringen, zack-zack wird abgeräumt. Es ist eine angemessene Einstimmung auf einen Tag im Land der braven Leute. Und man muss sich das auch leisten können, wird geargwöhnt. Leben und leben lassen. Die Gesichter lächeln, die Münder scherzen.
Es ist noch kühl im April.
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